Es nähert sich der Höhepunkt jedes Sprintzyklus: Vor dem Hintergrund dieser Gruppenkapazität und im Angesicht der neuen Backlog-Liste übergibt der AGILECOACH dem Team den gelben Faserstift aus dem AGILESET-Koffer. Mit dem gelben Stift tritt ein Teammitglied an das AGILEBOARD und zeichnet eine Linie, die die Backlog-Liste zum Beispiel so unterteilt, dass von den 15 Backlog-Items drei unterhalb der gelben Linie liegen.
Und spricht dabei die magischen Worte:
»Wenn’s gut läuft, schaffen wir diese drei Backlog-Items unterhalb der gelben Linie auch noch!«
Hört ein dominantes POT-Mitglied diese Worte das erste Mal, wird es vielleicht schlucken müssen oder seine Herztropfen rausholen. Das hört sich nach Sabotage und Arbeitsverweigerung an, das Team verweigert die Umsetzung!! Andere POT-Mitglieder denken vielleicht: »So habe ich mir das mit diesem AGILE nicht vorgestellt, das war vorher besser! Ich will wieder zurück!«.

Wer nicht den Mut hat, Nein zu sagen, dessen Ja hat keinen Wert!
(Zitat Kurt Schumacher).
Was sind die Vorteile dieser gelben Linie?
1. Das Team wurde sich darüber bewusst, was in der zur Verfügung stehenden Zeit möglich ist. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, eine Enttäuschung zu vermeiden.
2. Das Team kann sich auf einen Umfang konzentrieren, den es für möglich hält und sich von einer lähmenden Überlast befreien (»Wir brauchen erst gar nicht anzufangen, das können wir sowieso nicht schaffen!«).
3. Das Team hat sichtbar und körperlich (der gelbe Faserstift) das Ruder übernommen. Dieser symbolische Akt manifestiert und realisiert das Ziel von Agile:
Selbstbestimmung im Team.
4. Das Team hat die Backlog-Items oberhalb der gelben Linie zugesagt.
5. Das Team schränkte ein mit »Wenn’s gut läuft«. Es könnte also auch sein, dass das Team »overperformed«. Und wie könnte eine Over-Performance sichtbar werden ohne diese gelbe Linie?
6. Das POT kann sich konzentrieren. »Oberhalb der Linie hat das Team committed – unterhalb der Linie, das ist unser Job!«
7. Das POT kann sich hinsichtlich der Backlog- Items unterhalb der gelben Linie entscheiden:
- Können wir die Kapazität erhöhen?
- Können wir sie in den nächsten Sprint verschieben?
- Können wir Punkte von oberhalb der Linie mit Punkten unterhalb der Linie tauschen?
- Oder – und das ist eine der entscheidenden Erkenntnisse: Können wir sie ganz weglassen?
Denn alle zwei Wochen werden Ziele, die nach einer vorherigen Priorisierung am unteren Ende des Rankings gelandet sind, gelöscht. Das ist vollkommen neu. Es fühlt sich am Anfang komisch an. Weglassen? Ja, weglassen! Vor dem Hintergrund, dass alles andere wichtiger ist und das Team hierfür nicht das Commitment übernehmen kann, weil ihm die Kapazität fehlt, ist weniger mehr.
Weniger ist mehr.
Dabei meinen wir nicht die Hauptfunktionalitäten des Produktes. Denn man unterscheidet zwischen Product Backlog und Sprint Backlog. Das Product Backlog entspricht dem Lastenheft. In ihm sind die entscheidenden, wettbewerbsrelevanten Hauptfunktionalitäten des Produktes als Requirements definiert. Sie sind nicht alle zwei Wochen Gegenstand der Diskussion!
Die Frage ist vielmehr, ob die Umsetzung der Requirements mit höherer oder niedrigerer Komplexität erreicht werden kann. Noch wichtiger sind die Fragen:
Wird das der Kunde honorieren – sieht er das überhaupt?
Wie kann man mit der vorhandenen Kapazität ein Maximum an Ergebnis erzielen?